P. Kentenich - Mit Herz und Humor

Mit Rosenkranz und Bajonett

Unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg wurde in mehreren Kirchen in der Umgebung Schönstatts eingebrochen und der Tabernakel ausgeraubt. Die Leitung des dortigen Studienheimes beschloß deshalb, für einige Zeit das Allerheiligste jeden Abend in das Krankenoratorium zu übertragen und bei Nacht zu bewachen. Die Nachtwache wurde den Patres zugeteilt. Und so musste auch Pater Kentenich „Wache schieben”.
Einige von den älteren Schülern, ehemalige Kriegsteilnehmer, beobachteten dabei ihren Pater Spiritual und sahen ihn ruhig auf und ab gehen – den Rosenkranz in der Hand. Das war nun ihrer Meinung nach aber der gefährlichen Situation überhaupt nicht angemessen.
Die prägenden Kriegserlebnisse kaum hinter sich, kamen sie – kopf schüttelnd über soviel Naivität – zu der Überzeugung, dass man so das Allerheiligste nicht bewachen und mit einem Rosenkranz schon gar nicht gegen Einbrecher vorgehen könne. Was hier nottat, war eine Waffe. Und so brachten sie Pater Kentenich ein Bajonett. Dieser ging nachsichtig auf sie ein, nahm es dankend an und trug es verständnisvoll, fromm und brav mit sich auf und ab – bis die „Kriegsveteranen” sich befriedigt zurückgezogen hatten. Dann legte er das unbequeme Werkzeug auf das Fensterbrett im Gang und betete weiter seinen Rosenkranz.

Wie lange kann der Pater wohl predigen?

Die Predigten, die Pater Kentenich jeden Sonntag in St. Michael in Milwaukee hielt, waren für seine Zuhörer recht anspruchsvoll. Einmal wegen des Inhalts: Pater Kentenich war der Ansicht, man müsse der Gefahr wehren, die Zuhörer zufriedenzustellen, indem man einfach unterhaltsam predige. In einer durch Existenzkampf und Konsum seelisch verflachenden Gesellschaft müssten die letzten Wahrheiten gekündet, das „nahrhafte Schwarzbrot des Glaubens” ausgeteilt werden. Dann aber auch wegen des Stils: Pater Kentenich sprach kraftvoll, aber doch auch distanziert, jede rhetorische Suggestion bewusst meidend. Zum dritten wegen der Länge. Eine Predigt von dreißig Minuten war eher als kurz zu bezeichnen; fünfunddreißig Minuten und etwas darüber konnte man jederzeit erwarten.
Den Leuten gefiel das verständlicherweise nicht. Dass sie in der Predigt nicht alles verstanden, konnten sie ertragen. Aber dass sie so lang war, das regte einige Gemüter auf. Im kleinen Kirchenchor der „Deutschen Gemeinde” machte sich einmal der Ärger darüber Luft. In der Hitze der Diskussion meinte einer: „Glaubst Du, der Pater könnte drei Stunden an einem Stück predigen, und der Stoff ginge ihm immer noch nicht aus!”

Drei Stunden lang hat Pater Kentenich in Milwaukee nicht gepredigt. Aber dass ihm der Stoff nicht ausging, das sollte sich am Sonntag, den 9. Dezember 1962, zeigen. Die Predigt kündete – das Fest der Unbefleckten Empfängnis vom Vortag nachkostend – die Herrlichkeiten der Gottesmutter. Drei Worte des heiligen Bernhard gliederten die Predigt:
1. Die Gottesmutter ist das Werk Gottes, das alle anderen endlos übersteigt.
2. Auch zu ihrer Verherrlichung wurde die ganze Welt erschaffen.
3. Gott wollte, dass wir keine Gnade erhalten ohne ihre Mitwirkung.

Dann kam die Anwendung: Wir sollen selbst Mariengestalten werden.
Während der Predigt hatte Pater Kentenich, seiner Gewohnheit entsprechend, mehrmals auf seine Armbanduhr geschaut. Dreißig Minuten waren vorbei. Der Gedanke war abgerundet, das „Amen” fällig.

Er aber hob von neuem an: Leo XIII. sagt oft, die Gottesmutter ist ein Wunder. Eine neue Gliederung kündigt sich an (nach fünfunddreißig Minuten): Sie ist ein Wunder in der natürlichen Ordnung, Jungfrau und Mutter zugleich. Auch davon sollen wir ein Abbild sein (vierzig Minuten). Allerdings, „das sind wohl Gedanken, die uns ungewohnt erscheinen...” Mitten im Satz bricht der Prediger ab und meint: „Jetzt weiß ich nicht, wie spät es ist. Meine Uhr steht … Wie spät ist es?” Aus den ersten Reihen erhält er Auskunft: „Zehn vor elf.” – „Du meine Güte …meine Uhr zeigt immer noch zehn nach zehn! Muss ich Schluß machen. Nos cum prole pia."

Und leise in sich hineinlachend eilt er zum Altar, um die heilige Messe fortzusetzen.

 

Anschauungsunterricht

Pater Kentenich lud eine einfache Mutter von seinem Mitarbeiter einmal ein, einige erholsame Tage in Schönstatt zu verbringen. Er wählte die Zeit eines großen Exerzitienkurses für Priester im damaligen Bundesheim. Mutter M. erhielt das Zimmer neben der Empore zur Hauskapelle. „Du wirst sehen, was passieren wird …”, bemerkte er zum Sohn.

Was er vorausgesagt hatte, geschah: Mutter M. verweilte den ganzen Morgen auf der Empore der Kapelle und vollzog die vielen Messen mit, die – nach damaligem Ritus, der noch keine Konzelebration gestattete – nacheinander an den verschiedenen Altären von den Priestern zelebriert wurden. Und als die Reihe der Meßfeiern im Bundesheim zu Ende war und der Vortrag anfing, ging sie zum nahen Heiligtum, um zu sehen, ob nicht dort noch eine Messe sei, die mitgefeiert werden könnte. So verliefen die erholsamen Tage der Mutter M.!

Eines Nachmittags bemerkt sie, wie sich aus verschiedenen Richtungen ein Strom Marienschwestern auf das Heiligtum zubewegt. „Da muss etwas los sein”, denkt sie und schließt sich dem Strom an. Unter lauter Schwestern wartet sie, was da kommen soll. Und kommen sollte Pater Kentenich, der während der Zeit der Priesterexerzitien den Schwestern einen Vortrag zu einer nachmittäglichen Stunde hielt. Begreiflich, dass die Schwestern bei diesem Vortrag unter sich sein wollten. Eine Schwester flüstert deshalb der frommen Frau zu: „Hier hält Pater Kentenich jetzt gleich einen Vortrag!” – „Oh, das ist mir sehr recht”, bemerkt unschuldig Mutter M.

Dem herannahenden Pater Kentenich wird die Warnung entgegengebracht: „Herr Pater, da ist eine Frau im Kapellchen, die will nicht gehen.” Der „Gewarnte” ahnt gleich, um wen es sich da wohl handelt, lässt sich zur Sicherheit die Frau etwas beschreiben, dirigiert die Schwestern ins Heiligtum und betritt es schließlich selbst, um seinen Vortrag zu beginnen: „Liebe Schwestern, unter uns sitzt heute die Mutter M.. Über sie werde ich jetzt den Vortrag halten …”.

Und dann folgt eine Darlegung über das „Gebet der Einfachheit”, das schlichte und gelöste Bei-Gott-Sein in einer übernatürlichen Atmosphäre des Herzens ohne viel Reflexion und Worte. Und immer wieder heißt es in der Darlegung: „Bei der Mutter M. ist das so: … Wenn sie zum Herzen Jesu betet, dann schwingt ihre ganze Liebe zur Gottesmutter mit und umgekehrt…”

Die Verlegenheit der Mutter M. kann man sich vorstellen. „Ich wäre am liebsten unter die Bank gekrochen”, erzählt sie später ihrem Sohn. Es half aber nichts: Pater Kentenich, der ihre Seele kannte, machte sie zum lebendigen Anschauungsunterricht.