Anschauungsunterricht

Pater Kentenich lud eine einfache Mutter von seinem Mitarbeiter einmal ein, einige erholsame Tage in Schönstatt zu verbringen. Er wählte die Zeit eines großen Exerzitienkurses für Priester im damaligen Bundesheim. Mutter M. erhielt das Zimmer neben der Empore zur Hauskapelle. „Du wirst sehen, was passieren wird …”, bemerkte er zum Sohn.

Was er vorausgesagt hatte, geschah: Mutter M. verweilte den ganzen Morgen auf der Empore der Kapelle und vollzog die vielen Messen mit, die – nach damaligem Ritus, der noch keine Konzelebration gestattete – nacheinander an den verschiedenen Altären von den Priestern zelebriert wurden. Und als die Reihe der Meßfeiern im Bundesheim zu Ende war und der Vortrag anfing, ging sie zum nahen Heiligtum, um zu sehen, ob nicht dort noch eine Messe sei, die mitgefeiert werden könnte. So verliefen die erholsamen Tage der Mutter M.!

Eines Nachmittags bemerkt sie, wie sich aus verschiedenen Richtungen ein Strom Marienschwestern auf das Heiligtum zubewegt. „Da muss etwas los sein”, denkt sie und schließt sich dem Strom an. Unter lauter Schwestern wartet sie, was da kommen soll. Und kommen sollte Pater Kentenich, der während der Zeit der Priesterexerzitien den Schwestern einen Vortrag zu einer nachmittäglichen Stunde hielt. Begreiflich, dass die Schwestern bei diesem Vortrag unter sich sein wollten. Eine Schwester flüstert deshalb der frommen Frau zu: „Hier hält Pater Kentenich jetzt gleich einen Vortrag!” – „Oh, das ist mir sehr recht”, bemerkt unschuldig Mutter M.

Dem herannahenden Pater Kentenich wird die Warnung entgegengebracht: „Herr Pater, da ist eine Frau im Kapellchen, die will nicht gehen.” Der „Gewarnte” ahnt gleich, um wen es sich da wohl handelt, lässt sich zur Sicherheit die Frau etwas beschreiben, dirigiert die Schwestern ins Heiligtum und betritt es schließlich selbst, um seinen Vortrag zu beginnen: „Liebe Schwestern, unter uns sitzt heute die Mutter M.. Über sie werde ich jetzt den Vortrag halten …”.

Und dann folgt eine Darlegung über das „Gebet der Einfachheit”, das schlichte und gelöste Bei-Gott-Sein in einer übernatürlichen Atmosphäre des Herzens ohne viel Reflexion und Worte. Und immer wieder heißt es in der Darlegung: „Bei der Mutter M. ist das so: … Wenn sie zum Herzen Jesu betet, dann schwingt ihre ganze Liebe zur Gottesmutter mit und umgekehrt…”

Die Verlegenheit der Mutter M. kann man sich vorstellen. „Ich wäre am liebsten unter die Bank gekrochen”, erzählt sie später ihrem Sohn. Es half aber nichts: Pater Kentenich, der ihre Seele kannte, machte sie zum lebendigen Anschauungsunterricht.