Nicht ängstlich, sondern sehr sorgfältig sorgen

Der Heiland prägt uns heute im Evangelium (Mt 6, 24-33) zwei praktische Lebensregeln ein, die an sich fähig sind, uns in unserm harten Alltagsleben, im alltäglichen Existenz und Konkurrenzkampf in der neuen Welt, also in einem fremden Lande, Stütze und Halt, Trost und Zuversicht zu geben. Wir kennen diese beiden Regeln, haben sie schon oft gehört, haben uns auch wohl während des Lebens ungezählt viele Male bemüht, sie durchzuführen. Und doch: der Wirrwarr der täglichen Sorgen ist vielfach schuld daran, dass wir sie vergessen.

So mag es denn der Mühe wert sein, wenn wir sie uns heute erneut ins Gedächtnis rufen und versuchen, auch unser Herz wiederum dafür zu erwärmen. (...) Macht euch keine ängstlichen Sorgen. Sorget nicht ängstlich!  erste Regel, erste Lebensregel. Zweite Lebensregel: Suchet erst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und alles andere wird euch zugegeben werden. Wir fühlen sofort heraus, dass das zwei Regeln sind, die einander bedingen, die einander ergänzen.

Ob wir nun auf die Einzelheiten ein wenig eingehen sollen? Sind selbstverständlich alte, bekannte Wahrheiten, zumal für die ältere Generation. Von Eltern und Großeltern haben wir vielfach kaum etwas anderes gehört. Die junge Generation, die hier in einer ganz anderen Atmosphäre schwimmt, ist natürlich ständig in Gefahr, die Wahrheiten zu vergessen, und doppelt und dreifach: sie im Leben nicht durchzuführen.

Sich abmühen
Hören wir also im einzelnen. Noch einmal, erste Lebensregel: Sorget nicht ängstlich! Wenn wir das Wort hören, dann wissen wir sofort: der Heiland hat nicht gesagt, wir sollten uns keine Sorgen machen. Das setzt er einfach voraus, dass wir Sorgen haben. Weshalb? Es dreht sich hier ja um ein Naturgesetz, also um ein Gesetz, das mit der menschlichen Natur, mit dem geschöpflichen Charakter unserer Natur, einfach verbunden ist. Davon ist gar niemand dispensiert.

Es ist also nicht so, als wenn der Heiland uns darauf aufmerksam machen wollte, wir sollten den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, die Hände in den Schoß hineinlegen und dann warten, bis die gebratenen Tauben uns in den Mund fliegen. Und wir hätten dann wahrscheinlich gar nichts anderes zu tun, als den Mund weit, weit aufzumachen. Nein, nein, so ist das nicht gemeint. Naturgesetz ist und bleibt: Der Mensch ist zum Arbeiten geboren wie der Vogel zum Fluge. Naturgesetz bleibt: Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen (2 Thess 3, 10).

Ja der Heiland hebt also das große Naturgesetz, das am Anfang des Weltgeschehens laut Heiliger Schrift (Gen 1, 28) der ewige Vatergott so eingeprägt hat: "Wachset und mehret euch und erfüllet die Erde, macht sie euch untertan", nicht auf. Was sollen wir also tun? Die Welt uns untertan machen. Wir sollen das tun, nicht jemand anders. Die Kräfte, die in der Natur stecken, mobilisieren, sie gebrauchen. Also das ist ein großer Arbeits und ein großer Kulturbefehl, der, wie wir ja alle wissen, heute in einzigartiger Weise verwirklicht wird. Der Heiland hat das nicht aufgehoben, der hält das für selbstverständlich. Im Gegenteil, er hat das Gesetz in seiner Art sowohl durch Wort als auch durch Beispiel vertieft. Wir denken zum Beispiel nur an das Evangelium, an die Parabel von den Talenten (Mt 25, 1430). Es ist also nicht so, als sollten wir die Fähigkeiten, die der liebe Gott uns gegeben hat, ob sie natürlicher oder übernatürlicher Art sind, einfach vergraben und dann dem lieben Gott alles anheimgeben. Nein, wir haben die Pflicht, sie zu benutzen, die Pflicht, sie zu vermehren. Wer also zwei bekommen hat, muss vier wieder zurückbringen. Wir wissen, was das besagt. Es heißt also nicht: Nicht sorgen. Nein, nein, im Gegenteil, wir müssen uns regen und bewegen, müssen arbeiten, müssen sorgen. (…)

Wenn wir das Gesagte nun auf uns anwenden wollen: So wie wir hier sind, so wie wir bisher das Leben gemeistert haben, werden wir natürlich alle konstatieren müssen: daran hat's wahrhaftig nicht gefehlt. Im Gegenteil. Wir müssten, wenn wir ehrlich sind, gestehen, wir haben zuviel gerackert und gearbeitet. (…)

 

Sorget nicht ängstlich
Was wollte denn der Heiland nun mit dieser Selbstverständlichkeit sagen? Ei, das war keine Selbstverständlichkeit, was er hervorheben wollte. Er sagt ja sehr eindeutig und klar: Sorget nicht ängstlich! Wir sollen also sorgen, aber nicht ängstlich sorgen, nicht mit schlotternden Knien sorgen. Ob es sich um die Miete dreht, ob es sich um die Medizin dreht, ob das Kind krank ist oder ob die Frau im Wochenbett liegt oder der Mann keine Arbeit hat: Sorgen? Jawohl. Aber nicht ängstlich, nicht mit schlotternden Knien. Ja weshalb denn wohl nicht? Wenn wir tiefer hineinschauen in den Kopf des Heilandes, in sein Herz, ei, dann spüren wir, dann wissen wir sehr bald, wo eigentlich beim Heiland die letzten innersten Zusammenhänge liegen, wo es sich um derartige Sorgewaltungen handelt. Nicht ängstlich sollen wir sorgen, weshalb? Weil es noch einen anderen Sorger gibt. Es gibt noch jemand anders, der auch interessiert ist, der mitarbeitet, der für uns sorgt.

Darin liegt ja die große Tragik des heutigen Menschen. Worin? Wir schalten an sich die Erstursache, den lieben Gott, bei unserer Einkalkulierung einfach aus. Und das ist die große Tragik. Wenn wir alle Sorge, die nach Gottes Planung eigentlich eine geteilte sein soll zwischen uns und dem lieben Gott, alle, alle insgesamt nun auf die eigenen Schultern nehmen, dann ist es selbstverständlich, dann brechen wir früher oder später zusammen, zumal wenn wir eine Last auf uns liegen haben, wie das heutige Leben sie uns allen aufbürdet, zumal uns Deutschen, die wir aus andern Verhältnissen kommen, über die Meere, und hier genug zu tun haben, um uns einzufühlen in die Denkweise, in das Fühlen, Handeln und Wollen, in das praktische Leben des hiesigen Menschen. (…)

Kardinal Newman, ein Mann, der das heutige Leben in seinen Schattenseiten, aber auch in seinen großen Sorgen, in den großen Lösungen der heutigen Welträtsel gleichsam vorweggenommen hat, hat aus dem Zusammenhang heraus ein Wort geprägt, das auf den ersten Wurf ein wenig komisch klingt. Das heißt so: Ich will es ein klein wenig zuspitzen für unsere Verhältnisse: Unsere größte Sorge sollte es sein, endlos sorglos zu sein. Das ist etwas Majestätisches. Da habe ich einen Menschen vor mir, der mit seinem ganzen Sein hineingewachsen ist in die Sorge Gottes, hineingewachsen ist in eine andere Welt, in andere Wertmaßstäbe. Meine größte Sorge. Will er denn damit sagen, ich soll nicht mehr das Meinige tun? Das setzt er doch eher voraus, genau wie der Heiland. Das soll ich tun. Wenn ich das aber getan, mich gemüht, bemüht, abgerackert, das Meinige getan, dann besteht die größte Heldentat meines Lebens, zumal in der heutigen Zeit, darin, endlos sorglos zu sein, das heißt alle anderen Sorgen in die Hand des ewigen Vatergottes, in sein Herz hineinzuprojizieren. (…)

 

Aus: Predigt vom 23. August 1964, in: Aus dem Glauben leben, 14, 101-111