Advent – Mut haben, jeden Tag neu anzufangen

Advent – Mut haben, jeden Tag neu anzufangen

Wir alle sind in entsprechender Weise liturgisch eingestellt, erleben das Kirchenjahr mit seinen Spannungen und Entspannungen, mit seinen An- und Abschwellungen. Wenn wir genauer zusehen, finden wir bald: Alles, was wir denken und empfinden, was wir wollen und mögen, klingt sinngemäß wieder im Kirchenjahr. Einmal ist es die Freude, dann wieder tiefe Trauer oder starke Sehnsucht. Im Advent will uns die Kirche aufmerksam machen, dass echte, gesunde Heiligkeit in dem Mut besteht, jeden Tag neu anzufangen.

Wenn wir das nachlesen in der Geschichte der Familie, heißt es schon am Anfang, 1919: "In diesem Chaos stellen wir ein Programm auf, das einer feierlichen Schilderhebung desinnerlichen Lebens gleich kommt."

Ich kenne keine Gemeinschaft, die so radikal Ernst macht nach der Richtung. Wir als Familie sind diesem Grundsatz treu geblieben, wir ringen mit blutigem Ernst nach Verlebendigung des inneren Lebens, des Lebens mit Gott, in Gott, für Gott. Wir erfahren aber auch insgesamt ungemein häufig die starken Schwankungen des inneren Lebens. Schon wenn wir an den Körper denken: Was hat der nicht alles für Stürme durchzukosten wie ein Aprilwetter!
Wie viel mehr können wir sprechen von den zahllosen Witterungen der Seele. Heute begeistert – und morgen? Da will uns die Kirche durch den Advent wieder erinnern, dass für strebsame Menschen ungeheuer viel Mut dazu gehört, jeden Tag neu anzufangen. Wir müssen schon klare Begriffe des innerlichen Lebens haben.

Als Franz von Assisi auf dem Sterbelager ruhte, sprach er zu den umstehenden Brüdern:
"Lasst uns endlich einmal anfangen!" Darauf sollten auch wir unser Leben abstimmen. Dieser Mut schließt auch in sich eine tiefe Sehnsucht nach einem überaus hohen Ziel. Und dieses große Ziel legt uns die Kirche in den kommenden Wochen wieder hellstrahlend vor Augen.

Advent strömt mit allen Fasern hin auf Weihnachten. Was ist den Hirten von den Engeln in die Seele hineingesungen worden? Hören Sie: „Ihr werdet ein Kindlein finden ...“ (Luk1,12). Damit ist uns in den nächsten Wochen ein großes Ziel gegeben: eine neue Kindwerdung! Gott ist Mensch geworden auf dem Wege der Kindwerdung. Wir sollen vergöttlicht werden auf dem Wege der Kindwerdung, nicht nur für vier Wochen Advent, sondern bis zum Ende unseres Lebens. Der Heiland hat das als Lebensziel uns vor Augen gestellt: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder ...“ (Mt 18,3). (...)

Die Kindlichkeit Gott gegenüber kennt verschiedene Grade. In den untersten Graden ist Kindlichkeit eine verfeinerte Selbstsucht. Man sucht etwas, man sucht sehr viel für sich selbst, man möchte geborgen, glücklich sein. Auf höherer Stufe ist Kindlichkeit Selbsthingabe, wie es der Heiland vorgelebt hat. Sein Leben war auf den Ton abgestimmt: Was dem Vater Freude macht, nicht was mir liegt. Der Wille des Vaters ist für das Kind das Maß aller Dinge (vgl. Joh 8,29). Wenn wir solch herbe Töne hören, wird das Wort "Kindlichkeit" eine andere Färbung bekommen, da verliert es das Weichliche und mündet aus ins Kraftvolle, Herbe. (...)

 

Gott will durch die heutige Notlage der ganzen Christenheit den Heroismus der Kindlichkeit schenken. Wenn alle schützenden Nester ringsum ins Meer geworfen werden, wenn alle irdischen Stützen uns genommen werden, was bleibt dann übrig? Nichts anderes, als das Hineinfluten in das Herz Gottes. Wir dürfen uns nicht so viel auf uns selbst verlassen, sondern sollten Heroen des kindlichen Vertrauens werden. Der Vater kann alles.

 

P. J. Kentenich in: "Das Lebensziel des Christen",
28.11.1937, Vortrag an den Aschaffenburger Schönstattkreis