Wirkkraft des persönlichen Ideals
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4. Wirkkraft des persönlichen Ideals
Hier sind drei Aspekte zusammengefaßt: Die Wirkkraft einer großen originellen Idee, einer großen originellen Liebe, einer großen originellen Gnade.
4.1 Die Wirkkraft einer großen originellen Idee:
Rein psychologisch gesehen hat eine originelle Idee eine große Wirkkraft. „Deinen großen Gedanken will ich wissen“, hat Nietzsche einmal gesagt. Studieren Sie, wie unsere Gegenseite fanatisiert ist von klar erkannten und hinreißend angebeteten Ideen. Schauen Sie in das Leben der Heiligen. Sie haben immer große Ideen gehabt. Das Urchristentum war erfasst von den großen Ideen! Diese Ideen waren lebendig! – Worin liegt nun die Formkraft einer großen Idee? Sie formt einen kraftvollen Charakter, große Persönlichkeiten.
4.1.1 Die große Idee formt einen ausgeprägten Charakter
Die heut so sehr um sich greifende Brunnenvergiftung des Gewissens ist sehr zu bedauern. Sie ist vielleicht viel schlimmer als wirtschaftliche und ähnliche Nöte. Nach außen hin gibt man sich so, und innerlich ist eine total andere Haltung da. Für den Erzieher gibt es deswegen ernste Probleme, die mit dem Wort ‚Charakter’ verbunden sind.
4.1.1.1 Wesen des Charakters:
Der Charakter als Eigenschaft ist die Fähigkeit und Bereitschaft, eine seelische Haltung und Überzeugung unentwegt festzuhalten; wo es notwendig ist, sie zu bekennen, auch wenn es etwas das Leben kosten sollte. – Wir tun gut daran, Definitionen aus letzten Zusammenhängen heraus, aber auch in Anpassung an die Zeit zu geben.
4.1.1.2 Mangel an Charakter:
Woher kommt es, dass es heute so wenig charaktervolle Persönlichkeiten gibt? Was erschwert heute das Festhalten innerer Überzeugungen, was deren Bekenntnis?
4.1.1.2.1Wirtschaftlicher Ruin.
Daran zerbrechen so viele Menschen heute. Wenn ihre Überzeugung bekannt wird, wenn sie ihr treu bleiben, droht ihnen wirtschaftlicher Ruin. Das müssen wir verstehen, wo es sich um Beamte handelt. Die Zeitverhältnisse sind für sie äußerst schwer. – Aber ein viel wichtigerer und tiefgreifenderer Grund ist
4.1.1.2.2 die heute vollständig umgeänderte Werteskala.
Es ist klar, wenn ich das Wirtschaftliche als das höchste ansehe, wenn ich nicht die Idee der Wahrheit und Gerechtigkeit als ein überaus hohes Gut anerkenne, werde ich sehr schnell bereit sein, um eines Linsenmuses willen meine äußere Überzeugung preiszugeben. Ja, wir dürfen fragen: Wird eine innere tiefgreifende Überzeugung überhaupt Platz haben? Hier mögen Sie überprüfen, wie es mit Ihrer Werteskala steht. Wir müssten uns alle bemühen, Wahrheit und Gerechtigkeit auch um ihrer selbst willen so zu lieben, dass wir um sie auch wirtschaftliche Nachteile auf uns nehmen. Es ist immer ein großer Nachteil, wenn diese Idee verleugnet wird, auch wenn man es für den Augenblick nicht spürt.
4.1.1.2.3 Es fehlt dem modernen Menschen an Stille, an Einsamkeit.
Ohne Stille und Einsamkeit ist die Bildung von Grundsätzen, Haltungen, Überzeugungen, ja insgesamt die Bildung eines feinen Gewissens schlankweg unmöglich. Überprüfen Sie selber, wie sehr es dem modernen Menschen an Stille und Einsamkeit im Hasten und Jagen des Alltags fehlt.
Angewandt auf mich: Muss ich nicht persönlich auch wieder mehr die Einsamkeit, die Stille suchen? Alle großen Reformatoren sind aus der Einsamkeit gekommen. Wenn wir einsam sind, während des Gebetes, jetzt während der Exerzitien, dann tun wir dadurch viel mehr für die uns Anvertrauten, als wenn wir aus einer Arbeit in die andere stürzen. Das gilt zumal für emotionale Naturen, die total die Reflexion über sich verlieren, wenn sie sich nicht in der Einsamkeit auf sich konzentrieren. (…)
Quelle: Kentenich Reader Band III „Dem Propheten folgen“ (2010) ; Das Persönliche Ideal, S. 45 - 47