Neue Pfingsten
Maivortrag an die Kongreganisten
31. Mai 1914
Pfingsten steht in naher Beziehung zum Werke der Schöpfung, Pfingsten ist ein anderer, ein neuer Schöpfungstag. Der Heilige Geist kommt vom Himmel herab auf die Erde, um dort eine geistig-sittliche Neuschaffung vorzunehmen. Neu soll das sittlich-religiöse Leben des einzelnen werden. Diese Wahrheit erkennen wir an und bitten um ihre Bestätigung bei uns, sooft wir die Hände falten und beten: Emitte Spiritum tuum et creabuntur. Sende aus deinen Geist und alles wird neu geschaffen. Neu, erneuert werden soll durch den Heiligen Geist das ganze Angesicht der Erde. Et renovabis faciem terrae. Der Heiland hat sein Reich auf Erden gegründet: die katholische Kirche. Der Heilige Geist soll dieses Reich erhalten und ausdehnen bis an die äußersten Grenzen der Welt. Durch ihn soll Christi Geist siegen über den Weltgeist, die Herrschaft der bösen Geister soll weichen den unveräußerlichen Rechtsansprüchen Gottes.
Das ist die Aufgabe des Lebendigmachers: Sittlich-religiöse Erneuerung des einzelnen und der Gesamtheit der Menschen. Daß aber der Heilige Geist dieser Aufgabe gewachsen ist, das beweist sein Wirken, seine Tätigkeit am Pfingstfeste.
Menschlich gesprochen, hat der Heiland mit seinen großen Plänen über die Welterlösung Fiasko gemacht. Er, der große Seelenkenner, er, der die Herzen der Menschen lenkt wie Wasserbäche, war selbst drei lange Jahre hindurch der Lehrer und Erzieher - der Novizenmeister seiner Apostel gewesen. Und der Erfolg? Sie verstehen ihren Magister nicht, sie fassen seine Lehren nicht. Ganz ins Irdische versenkt, können sie sich nicht emporschwingen zu der Höhe seiner übernatürlichen Denkweise. Ihr Sinnen und Trachten geht nach Rang und Ehren in ihrem eingebildeten irdischen Messiasreiche. Jeder will in diesem Reiche der erste, der größte sein. Als aber die rauhe Wirklichkeit ihre Luftschlösser vernichtete - als der Heiland den Weg des bittersten Leidens und Sterbens betrat - da verlassen sie ihren Meister, sie ergreifen feige die Flucht. Einer der mutigsten von ihnen, der noch kurz vorher im Aufflackern seiner natürlichen Ritterlichkeit das Schwert für den Heiland gezogen, zittert bald wie Espenlaub vor dem Blick und Wort einer einfachen Magd.
Das sind die Männer, die Auserlesenen, denen der Gekreuzigte seine Sache, seine Sendung anvertraut. Ihnen wird der weltumspannende Auftrag zuteil: Euntes in universum mundum praedicate evangelium omni creaturae...
Ist es nicht Wahnwitz, unter diesen Umständen einen glücklichen Ausgang für die Sache Christi zu erwarten? Nur Geduld! Noch ist die Ausrüstung der Apostel nicht vollendet. Der Heilige Geist soll Ordnung bringen in das Chaos ihres Herzens - in dem es wüst und leer ist wie zur Zeit des Sechstagewerkes in der Schöpfung. Er soll sie einführen in alle Wahrheit und sie stärken zu mutigen Aposteltaten. So hatte der Heiland versprochen.
Sehnsüchtig harren nun die Apostel auf die Erfüllung dieses Versprechens. Und wirklich! Es kommt der Erwartete. Sturm und Feuerzeichen bahnen ihm seinen Weg. Er läßt sich auf einen jeden nieder - und das Wunder der Verwandlung ist geschehen. Jetzt fürchten sich die Zwölfe nicht mehr vor einer Magd. Klar erfassen sie die ganze Größe ihres übernatürlichen Berufes. Repleti sunt omnes Spiritu sancto: Alle sind erfüllt, angefüllt mit und von dem Heiligen Geiste. Et coeperunt loqui - und sie fingen an zu sprechen. All die Worte, die der Heiland zu ihnen gesprochen, die aber lange tot und unfruchtbar auf dem Grunde ihrer Seele geruht, finden nun in ihrem Innern einen freudigen Widerhall. Jetzt erkennen sie die ganze Größe ihres übernatürlichen Berufes. Et coeperunt loqui! Jetzt fürchten Sie sich nicht mehr vor dem höhnischen und spöttischen Lächeln einer Magd. Mutvoll treten sie der ganzen Welt entgegen, voller Verlangen, für Christus und sein Reich ihr Blut zu verspritzen, ihr Leben zu opfern. Eine Kraft geht von ihnen aus, der man nur mit Mühe widerstehen kann. So wird ihr Kriegszug ein Siegeszug, der seine Wiederholung findet in allen christlichen Jahrhunderten, solange als der Heilige Geist sehnsuchtsvolle Menschenherzen findet, in die er sich niederlassen kann. Philipp Neri wollte mit zehn wahrhaft von der Welt losgeschälten Priestern alles dem Reiche Christi zinspflichtig machen...
Und wir, meine lieben Sodalen, wie oft und dringend haben wir in letzter Zeit nach dem Gnadenspender geseufzt und verlangt! Veni Sancte Spiritus - so komm, o komm doch, Heiliger Geist! Wir wissen, daß es dir etwas leichtes ist, uns gänzlich umzugestalten, all die guten Triebe und Kräfte, die in uns stecken, siegreich zur Entfaltung zu bringen. O komm!! Erfüll mit deiner Gnadenkraft das Herz, das du erschaffen hast.
Aber haben wir nicht schon oft den Heiligen Geist empfangen! Jedes Jahr feiern wir ja Pfingsten. Von einer durchgreifenden Umwandlung, von einer sittlich-religiösen Erneuerung ist jedoch nichts oder wenig zu merken. Mag sein! Dann liegt die Schuld an uns, nicht am Heiligen Geist. Doch für dieses Jahr können wir uns eines größeren Erfolges versichert halten.
Wir haben uns diesmal ja auf seine Herabkunft wie die Apostel im Abendmahlsaal vorbereitet. Et erant omnes unanimiter perseverantes in oratione cum Maria, matre Jesu. Um Maria geschart und mit Maria hielten sie einmütig eine neuntägige Andacht, um den Heiligen Geist und ein gerütteltes und geschütteltes Gnadenmaß vom Himmel herabzuziehen. Mitgewirkt hat Maria wie kein anderer Mensch zum Werke der Menschwerdung und Welterlösung am ersten Weihnachts- und Osterfeste, wie kein anderer Mensch auf Erden wirkte sie nun auch beim ersten Pfingstfeste mit (Hilgers, Büchlein U L Fr. 272 f.). So haben auch wir uns in der Marianischen Kongregation um Maria versammelt, wir haben unsere Gebete mit den ihrigen vereinigt. Und gewiß! Ihr Gebet wird heute wie ehedem wirksam sein; so viel vermag sie beim Gnadenspender, als sie bei ihm in Ansehen steht, als sie Einfluß auf seine Bestimmungen hat.
Daß aber dieser Einfluß ganz einzigartig dasteht, deutet uns die Heilige Schrift und Überlieferung an, wenn sie Maria die Braut des Heiligen Geistes nennt. Zwischen beiden herrscht darum eine bräutliche, eine zarte Liebe, ein freudiges Eingehen auf die gegenseitigen Wünsche und Bitten. Der Heilige Geist macht sich eine Ehre daraus, seine Gnaden durch seine Braut zu spenden, ja er kommt all ihren Wünschen liebevoll zuvor. Kaum hatte er sie überschattet, da drängt und führt er sie schon über das Gebirge, um durch sie dem Haus des Zacharias seine Gaben mitzuteilen. Elisabeth wird vom Heiligen Geiste erfüllt und ihr Kind - Johannes, der Vorläufer des Herrn - erhält die Gnade der Rechtfertigung. Und damit dieses Ereignis nur ja nicht mißverstanden werden könne, daß seine Liebe und Zuneigung zu Maria nur ja recht deutlich zum Ausdrucke komme, singt er gleichzeitig selbst durch den Mund Elisabeths das Lob seiner jungfräulichen Braut. Daraus erkennen wir ein Gesetz, das in der übernatürlichen Ordnung unwiderrufliche Geltung hat:
Die Verehrung, das Lob Mariens, gefällt dem Heiligen Geist nicht nur, nein, er ist auch selbst dessen Ursache - und Maria kann nicht würdig gepriesen werden ohne seine Erleuchtung und Kraft. Je größer darum die Marienliebe, desto reichlicher und ununterbrochener strömen die Gaben des Heiligen Geistes, und umgekehrt, je mehr einer vom Heiligen Geiste erfüllt ist, desto glühender seine Marienliebe.
Glücklich die Apostel, die sich der Gunst Mariens versicherten und mit ihr die Herabkunft des Heiligen Geistes erflehten. Der Erfolg entsprach vollkommen ihren Erwartungen.
Glücklich sind auch wir, daß wir uns eng und innig an Maria angeschlossen haben, daß wir ihr unsere Anliegen anempfohlen, unsere Bitten und Wünsche an den Heiligen Geist zu Füßen gelegt.
Gerade in den Pfingsttagen wird der Apostel so gern und leicht warm und begeistert. Er sieht das Ideal seines Berufes in den vom Geiste erfüllten und die Welt erobernden Aposteln.
Um so schmerzlicher und unangenehmer berührt das Bewußtsein, das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit, Schwache und Untauglichkeit. Und das alles um so mehr, als wir draußen Stürme toben hören und mächtige Feuer brennen sehen. Es sind nicht Pfingststürme und Pfingstfeuer. Es sind die Stürme, die die Pfosten der Kirche und jeder Ordnung zu stürzen drohen, es sind die Feuersgluten der sündhaften Leidenschaften, die in tausend Menschenherzen brennen, die aus tausend, Millionen Menschenaugen sprühen. Inniger und dringender denn je wer den darum heute unsere Bitten: Veni Sancte Spiritus: O komm, o komm doch Heiliger Geist mit deinen heiligen Feuersgluten und Sturmgewalten. Fege hinweg aus unserem Innern, verbrenne alles, was in uns morsch, was nicht lebensfähig ist, was dir nicht gefällt.
Lava, quod est sordidum - Reinige in uns, was unrein, schmutzig ist. Riga, quod est aridum Sende erquickenden Tau unserer Seele, über die der Glutwind der Versuchung hinwegfegt. Da tuis fidelibus, in te confidentibus, sacrum septenarium: Gib uns, die wir auf dich vertrauen, deine sieben Gaben.
Da virtutis meritum, da salutis exitum, da perenne gaudium.