Die Sünde
Exerzitienkurs über die Gotteskindschaft für die Patres im Kloster Bethlehem/Immensee (29.08 - 4.09 1937)
11. Vortrag, 01. September
1. DIE SÜNDE
Wenn ihr euch nicht umkehret und werdet wie die Kinder, dann könnt ihr nicht in das Himmelreich eingehen! Wenn ihr also die Sünde - die schwere Sünde, die freiwillige läßliche Sünde - nicht abstreift und den Kampf nicht aufnehmt gegen die Unvollkommenheit, dann könnt ihr nicht - entweder gar nicht oder nicht in entsprechendem Grade - in das Himmelreich eingehen.
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Weshalb haben wir gemeiniglich so wenig Sündengefühl und Sündenbewußtsein? Ich könnte Ihnen auf die Frage eine Menge Antworten geben. Aber im Rahmen unseres Kurses ist wohl die eine Antwort überaus wichtig: weil wir zu wenig lebendigen Kindessinn dem lebendigen Vater gegenüber haben! Die Antwort klingt sehr einfach, ist aber sehr aufschlußreich. Prüfen Sie einmal: wenn ich bloß Sündengefühl und Sündenbewußtsein habe irgendeiner vagen Gottesidee, irgendeinem mich verpflichtenden Gesetz gegenüber, so greift das nicht tief. Tiefes Sündenbewußtsein hat nur derjenige, der tiefes Kindesbewußtsein dem persönlichen Vater gegenüber hat. So plausibel die Antwort klingt, so antwortet sie doch wohl auf eine ganze Menge von persönlichen Fragen. Hätte ich also ein feineres, kindlicheres, zarteres, innigeres Verhältnis zum Himmelsvater, dann würde ich die Unvollkommenheiten, die ich begehe, viel tiefer erleben als etwas Unreifes und Fehlerhaftes.
Darum halten Sie fest: Sündenbewußtsein setzt voraus eine tiefgehende Erziehung zum wahren Kindesbewußtsein. Was Sie darum in der Erziehung Ihrer heranwachsenden Jugend tun, um tiefe, zarte Kindlichkeit in sie hineinzusenken oder aus ihr hervorzulocken, das tun Sie gleicherweise zur Vertiefung eines gesunden Sündenbewußtseins. Ein gesundes Sündenbewußtsein muß es sein; wir denken nicht an das kranke und krankhafte Sündenbewußtsein. Eine der Ursachen und Wurzeln dieses kranken Sündenbewußtseins ist der Mangel an tiefer Kindlichkeit, weil dann das, was in der Seele auf der einen Seite unterdrückt wird, auf der andern Seite ganz spontan nach oben will.
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DIE SCHWERE SÜNDE
als Ausdruck eines vollendeten Kindischseins, einer vollendeten Unreife. Man nennt die schwere Sünde wohl auch Todsünde. Was tötet sie? Sie tötet in vollendeter Weise das Kindessein und den Kindessinn. Damit haben Sie vom Standpunkt der Kindlichkeit eine ganz originelle Sündenbetrachtung. Ich darf sie nicht ausführen, ich gebe nur ein paar Punkte an.
a) Sie tötet das Kindessein
/.../ Sie nimmt uns das göttliche Leben, nimmt uns die Teilnahme an der göttlichen Natur, nimmt die Gotteskindschaft und macht uns in einem durchaus wahren Sinne zu Teufelskindern. /.../
Aber damit, daß ich das göttliche Leben, das Kindessein verloren habe, habe ich auch gleichzeitig verloren die wundersame Schönheit der begnadeten Seele, habe verloren alle Ehren- und Rechtstitel auf Gottes Güte, Liebe und Barmherzigkeit, habe verloren das ganze Verdienst, das ich bisher erworben.
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Überlegen Sie, was das einem Kinde weh tut, wenn es sieht: der Vater schaut nicht mehr mit Wohlgefallen auf mich herab! Das greift ungemein ins Gemüt; viel mehr als weiß Gott was für Strafen und Schläge, es sei denn, daß sie Ausdruck des Himmelsvaters sind. Schläge an sich sind nicht erzieherisch; höchstens in dem Zusammenhang, daß sie Ausdruck des Mißfallens des Himmelsvaters sind.
b) Sie tötet den Kindessinn
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b/1. Erstens ist die schwere Sünde eine furchtbare Empörung, eine furchtbare Verachtung und eine furchtbare Undankbarkeit Gott gegenüber, und zwar in einem Ausmaß, daß darin Kindessinn absolut undenkbar ist.
Was für eine Empörung? Das ist nicht bloß die Empörung eines Untergebenen gegen seinen Herrn, sondern eines Kindes gegen den Vater. Dieser Herr ist König und Führer, aber auch gleichzeitig Vater des Untertanen, des Kindes. Die Empörung muß um so verruchter sein, je höher die Stellung, die wir im Reiche Gottes, im Herzen des Vaters einnehmen. Wir sind Kinder, wir sind Offiziere: beides gleichzeitig im Herzen des Himmelsvaters. Was muß das für ein furchtbares Verbrechen sein, wenn wir eine schwere Sünde begehen!
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Die schwere Sünde mordet den Kindessinn wegen der furchtbaren Empörung, aber auch wegen der furchtbaren Verachtung. Ich weiß als Kind um die Eigenschaften des Vaters: ich weiß um seine Allgegenwart, um seine Gerechtigkeit, Heiligkeit, Allwissenheit. Nun überlegen Sie, was das für eine Verachtung in sich schließt: das alles weiß und glaube ich, und trotzdem kümmere ich mich nicht darum!
Tod des Kindessinnes ist die schwere Sünde wohl auch wegen der erschrecklichen Undankbarkeit. Was hat der liebe Gott nicht alles gegeben!
Hier darf ich wiederum bitten: sorgen wir dafür, daß der edle Sinn in uns dadurch geweckt wird, daß wir fast Tag und Nacht schwimmen im Wohltätigkeitsmeere Gottes! Das ist bedeutungsvoll; denn Kind werden wir in dem Maße, als wir uns geliebt wissen.
/.../ Immer ist es so: die schwarzen Flecken in meinem Leben bedrücken mich um so mehr, je mehr ich vorher alles Große erlebt habe, was der große Gott angeboten und geschenkt hat. Warum kommt es, daß wir oft so schrecklich undankbar sind? Weil wir uns der Wohltaten Gottes so wenig erinnern. Das kommt aus einem tiefen Mangel an feiner Kindlichkeit; weil wir nicht einsam-zweisam mit dem Vater sind. Wäre ich kindlich, würde ich einsamer mit ihm sein, weil ich aber so wenig kindlich bin, ist mein Herz ständig unterwegs: ständig sucht es irgendeine Befriedigung draußen in der Welt. Ich sollte kindlicher sein, dann hätte ich ein feineres Organ für Gottes Wohltaten: ich würde mit ihm allein sein und die Kraft bekommen, die schwarze Undankbarkeit der schweren Sünde zu meiden und zu tilgen.
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b/2. Was ist die Folge dieses Mordes, die Folge der schweren Sünde? Die Folge ist eine mehrfache: Sie nimmt mir das Recht auf den Frieden und die Freiheit der Kinder Gottes. Die schwere Sünde nimmt mir das entsprechende Recht auf eine glückselige Sterbestunde, auf einen gütigen Richter. /.../
Das darf ich zunächst psychologisch deuten. Ich nehme meinetwegen einmal an, ich hätte in jungen Jahren die schwere Sünde hinuntergetrunken wie Wasser; vielleicht die Sünde gegen die Reinheit - hier können Sie die Sache vielleicht am besten studieren - oder auch die Sünde des Zornes, der Eifersucht. Also gerade an den Sünden, die mit einer körperlichen Veränderung verbunden sind, läßt sich die Sache psychologisch am schnellsten nachweisen. Woher kommt es - einmal vorausgesetzt, was ich andeutete -, daß ich in späteren Jahren so furchtbar reizbar bin allen sexuellen Dingen gegenüber? Das ist halt ein Stück Unfreiheit, das ich mir als Folge der Sünde erworben habe. Ein anderer geht unbefangen durch das Leben, während ich weiß Gott wie sexuell erregt werde bei den gewöhnlichsten Dingen. Ich habe durch meine Fehler das Recht auf Friede und Freiheit verscherzt. Ich darf ein Bild gebrauchen: Sünde tun ist gleichbedeutend mit dem Trinken an einer Flasche, in der oben Zuckerwasser, unten aber Arsenik ist. Man schlürft das Zuckerwasser und achtet nicht, daß man das Gift mitgeschlürft hat. Das Gift fängt bald an zu wirken. Also wieder: die Sünde nimmt das Recht auf Frieden, Freude und Freiheit der Kinder Gottes.
Wollen Sie das etwas mehr dogmatisch begründet haben, dann erinnern Sie sich, was Friede ist. Friede ist tranquillitas ordinis, das ist Ruhe aus Eingliederung in die gottgewollte Ordnung. Weil die Sünde aus der gottgewollten Ordnung hinauswirft, kann mit der Sünde kein Friede verbunden sein. Was ist Freude? Freude ist die Ruhe des Strebevermögens im Besitze eines entsprechenden Gutes. Sünde ist eben kein Gut und deswegen kann auch mit der Sünde auf die Dauer keine wahre, echte Freude verknüpft sein.
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Endlich verliere ich durch die schwere Sünde auch ein gewisses Anrecht auf eine glückliche Ewigkeit.
Hier hätten Sie Gelegenheit, eine Höllenbetrachtung anzustellen. Das ist eine Betrachtung, die uns keine schlotternden Knie machen soll, sondern unermeßlich fruchtbar ist, wie die Fruchtbarkeit des Meeres. Prüfen Sie, was für das Kind der Gedanke an die Hölle bedeutet: das Kind flieht um so mehr in die Arme des Vaters; das Kind bemüht sich um so mehr, jeden Wunsch des Vaters zu erfüllen.
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DIE LÄSSLICHE SÜNDE.
/.../ Die läßliche Sunde ist um so häßlicher, je mehr sie mit Bosheit verinüpft ist: mit Überlegung, gleichzeitig mit einem Argernis verbunden ist; je mehr sie aus einer eingewurzelten, nicht beachteten und nicht bekämpften Gewohnheit herausfließt. Während wir die einzelnen Eigenschaften und Momente nennen, können wir nachprüfen, wie die läßliche Sünde bislang sich in unserm Leben ausgewirkt hat.
Weshalb Kampf gegen die läßliche Sünde? Was von der schweren Sünde gilt, das gilt in entsprechendem Abstand auch von der läßlichen Sünde. Wenn die schwere Sünde den Kindessinn tötet, dann schwächt ihn die läßliche. Die läßliche Sünde ist zwar keine gräßliche Empörung, aber eine Art Empörung; die läßliche Sünde ist zwar keine gräßliche Verachtung, aber doch irgend eine entsprechende Verachtung; die läßliche Sünde ist zwar keine gräßliche Undankbarkeit, aber doch eine Art Undankbarkeit gegen Gott. Ein Kindesgemüt, ein Kindesbewußtsein empfindet diese Unarten doch als sehr hart und häßlich.
Auch alle Nachwirkungen sind in geringerem Grade auch bei der läßlichen Sünde zu bejahen: auch die läßliche Sünde nimmt in einem gewissen Sinne, wenn auch in stark untergeordneter Weise, das Recht auf Friede und Freiheit; denn in jeder Sünde liegt eine Unfreiheit, zumal, wenn die Sünde gewohnheitsmäßig hinuntergetrunken wird. Die läßliche Sünde mag uns auch beunruhigen in der Todesstunde, denn die läßliche Sünde macht unsere Begegnung mit dem ewigen Richter nicht sonderlich angenehm.
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