Warum Marienverehrung?

Aus dem "Josefsbrief"

Juni 1952

Warum Marienverehung? Ist nicht Christus alles in allem? Genügt sein Erlösungswerk nicht zu unserem Heil? Ist nicht jede Nennung eines Namens außer dem des Gottessohnes im Zusammenhange mit dem Heilsplan eine Herabsetzung Christi? Solche Fragen tönen uns heute von verschiedenen Seiten entgegen, wenn von einer Verpflichtung zur Marienverehrung für jeden einfachen und jeden gebildeten Christen die Rede ist.

So urchristlich und zugleich dogmatisch einwandfrei diese Einwendungen gegen eine besondere Verehrung der Gottesmutter klingen mögen, sie sind es doch nicht ganz.
/.../
Zunächst möchten wir eine Gegenfrage stellen: Ist mit dem Heilsplane Gottes des Vaters mit innerer Notwendigkeit Maria verbunden? Mit anderen Worten: Mußte sich Gott der Vater notwendig Mariens bedienen, wenn er uns von der Sünde erlösen wollte? Die Frage ist gewiß zu verneinen; denn sonst wäre Gott in seinem Rettungsplane abhängig von einem Geschöpf. Also - so werden uns die oben genannten Gegner in die Rede fallen - ist auch die Marienverehrung etwas Zweitrangiges in unserer Frömmigkeit, sie führt vom 'Wesentlichen' unserer christlichen Existenz ab!

Hier scheiden sich die Wege. Wir argumentieren nämlich gerade umgekehrt: Wenn Gott der Vater nicht gezwungen war, sich Mariens zu bedienen für unsere Rettung, wenn Maria aus dem Gedanken der Erlösung nicht notwendig folgt, dann ist ihre Einführung in den Ablauf des Heilsgeschehens für uns eine neue Tatsache, die wir nicht logisch ableiten, sondern nur demütig hinnehmen können. Also ist Maria in der 'Idee der Erlösung' und der 'Idee des Erlösers' durchaus nicht in dem Sinne enthalten, wie eine Folgerung keimhaft in einem Grundgedanken enthalten ist. Also ist in Maria für uns etwas Neues gegeben, was von uns eine gesonderte Beachtung verlangt, wenn wir uns dem Heilsplane Gottes so erschließen wollen, wie er es fordert.

Ja, hier scheiden sich zwei Grundtypen der Frömmigkeit. Die einen kommen rein von der 'Idee', vom rein 'Geistigen' her und wollen aus der christlichen Religion ein strenges Gefüge einsichtiger Sätze machen (mag auch am Anfang der Glaube stehen). Sie meinen, das 'Wesentliche' am Christentum herausschälen und es vom 'zufälligen' Beiwerk 'reinigen' zu können. Die Väter dieser Art führen in die ersten christlichen Jahrhunderte zurück. Es sind die Gnostiker, die bis zu gewissem Grade in der protestantisch-reformatorischen Lehre wiedererstanden sind. Diese Grundhaltung wird für Maria wenig Aufgeschlossenheit zeigen.

Auf der anderen Seite steht jene Haltung, die zwar nicht die Ideen leugnet und auch nicht daran verzweifelt, etwas vom inneren Sinn des göttlichen Heilsplanes zu erfassen, die aber sich dessen bewußt ist, daß wir zu diesen Ideen und diesem Sinn nur durch eine vorbehaltlose und demütige Hingabe an die geschichtlichen Tatsachen des göttlichen Heilsweges gelangen können. Für diese Haltung wird Maria kein zufälliges Beiwerk, die Mariologie keine Abschwächung der Christologie sein: Gott hätte uns ohne Maria erlösen können. Aber nachdem er sie tatsächlich mit einer bestimmten Aufgabe im Heilsplan betraute, können wir uns diesem Heilsplan nicht anschließen, ohne ein bestimmtes Verhalten zu Maria zu verwirklichen.

Die erste Haltung muß folgerichtig zu einer Auflösung des religiösen christlichen Gehaltes führen. Man kann nämlich noch weiter gehen. War zu unserer Erlösung von der Idee her gesehen unbedingt notwendig, daß Christus kam? Auch das muß verneint werden. Denn Gott der Vater hätte in seiner Allmacht auch noch andere Wege wählen können, um die Menschheit zu retten. Er hätte sich mit einem Propheten, einem bloßen 'Gesandten' für die erkrankte Menschheit begnügen können. Daß dieser Gedanke richtig ist, wird von katholischen Dogmatikern bestätigt. Also - so könnte man folgern wollen - ist Christus 'unwesentlich' für den göttlichen Heilsplan mit den Menschen. Gott allein genügt, er ist alles in allem. Wenn man von der 'reinen Idee' der Erlösung her kommt, muß man wie Maria so auch Christus streichen und die Erlösungslehre und Erlösungsidee von beiden 'reinigen'.

Wir folgern wieder gerade umgekehrt: Wenn Gott der Vater nicht darauf angewiesen war, zur Rettung aus unserem Verderben seinen Sohn zu schicken, so ist doch die Tatsache, daß er ihn sandte, um so verpflichtender für uns. Diese Tatsache ist für uns etwas Neues, was aus der Idee nicht zu folgern war. Wir müssen uns dieser Tatsache demütig staunend hingeben in Ehrfurcht vor der unerforschlichen und unbegreiflichen Liebe des Vaters. Nachdem Gott der Vater die Fleischwerdung des Wortes in den Heilsplan einsetzte, können wir diesen Heilsplan nicht mehr an uns erfahren, ohne uns dem fleischgewordenen Worte - dem im Stalle zu Bethlehem einmalig geschichtlich geborenen Worte - hinzugeben.

Die 'Reinigung' unserer Frömmigkeit von Maria und die 'Reinigung' von Christus, beides liegt auf derselben Ebene, bezeichnet nur verschiedene Phasen der Entwertung christlichen Gehaltes. Die Religionsgeschichte zeigt, daß der Weg des Verfalls tatsächlich so gegangen ist: die Ablehnung Mariens führt auf die Dauer die Ablehnung Christi mit sich, weil beides auf der gleichen Grundhaltung beruht, die wir nach obigen Anmerkungen die 'gnostische' nennen. Man könnte sie auch die 'idealistische' nennen, weil hier versucht wird, den Inhalt des religiösen Glaubens aus der reinen Idee abzuleiten, ohne demütige Hingabe an die heilsgeschichtlichen Tatsachen.

Aus diesen einleitenden Gedanken wird schon ersichtlich, daß wir die Marienverehrung letztlich nur aus der Stellung begründen können, die Maria tatsächlich im Heilsplane Gottes des Vaters einnimmt. Je nach dieser Stellung werden wir den Umfang und die Verpflichtung der Marienverehrung für jeden einzelnen Christen ermessen.