Vortrag über die Vorgründungsurkunde

Terziat der Pallottinerpatres in Santa Maria/Brasilien (16.2. - 5.3. 1952.)

33. Vortrag

26. Februar 1952

Meine lieben Mitbrüder!
[...]

Wir haben die Überwindung des kollektivistischen Menschen gelehrt und gelebt. Wir haben es gelehrt programmatisch, theoretisch und praktisch. Das Programm ist ja später als die Vorgründungsurkunde in die Geschichte von Schönstatt eingegangen.
[...]

Ich mußte (damals 1912) zunächst dafür sorgen, daß der richtige Begriff des Gehorsams erkannt wurde. [...] Das heißt pädagogisch ausgedrückt:

Die urelementaren Triebe der Selbständigkeit mußten aufgefangen, getauft und in den Rahmen des katholischen Gebildes hineingetragen werden. Dieser elementare Durchsetzungswille, der sich revolutionär zeigte, mußte aufgefangen und an den Wagen des Gehorsams gespannt werden.

Ich hätte jetzt auch sagen können: Was wollt Ihr, Ihr revolutionäre Bande? Wo ist die Peitsche? Was wollt Ihr? Raus mit Euch! Der Teufel soll Euch holen! Das ist aber verkehrt, das darf man nicht tun. Wenn man mit der Jugend viel verkehrt hat, dann muß man wissen: Die revolutionären Elemente sind oft die besten. Das Meisterstück der Erziehung steckt darin, den Kraftbegriff des Jugendlichen aufzufangen, diesen Kraftbegriff zu läutern und, wenn er geläutert ist, zu taufen. Ich habe dasselbe nachher beginnen müssen mit den Frauen; da war es nicht der Kraftbegriff, da ist es der Begriff der Hingabe und der Schönheit. Darin besteht das Meisterstück dann, die Grundtriebe, die in der Mädchennatur sind, aufzufangen, zu läutern und zu taufen - das ist immer das Prinzip.
[...]

Das war die erste Aufgabe, die ich damals lösen mußte. Die habe ich zunächst allein lösen müssen. Ich habe schnell dafür gesorgt, daß ich Bundesgenossen bekam, und zwar unter den Jugendlichen selber, und als ich dann so weit war, habe ich mit deren Hilfe begonnen mit der ethischen Läuterung des Trieblebens; da fing dann die übernatürliche Einstellung an.

Damals haben sich zwei Strömungen in der jungen Gemeinschaft gebildet. [...] Die Missionssektion hat als Ziel gehabt die ethische Läuterung, die eucharistische Sektion übernatürliche Taufe. Wissen Sie, wer damals einer der Hauptspitzen war? Unsere "Reliquie" - sanctus, sanctus, sanctus! Er ist der Hauptträger, der erste Führer der eucharistischen Sektion geworden. - Ich muß Ihnen sagen: Ich habe nie etwas getan ohne das selbständige, freie Mitarbeiten meiner Jugendlichen.
[...]

Das ist ja wohl das Meisterstück, selbständige Menschen zu erziehen, die von innen heraus zu ihrer Idee stehen und mitgehen durch Dick und Dünn - aber selbständig, selbsttätig.

Die Revolution war der Anlaß, meine Ideen von Selbständigkeit, Charakterfestigkeit zu künden. Ich hätte sie sowieso gekündet, aber jetzt bekamen sie auf einmal einen anderen Klang. Es bestand die Aufgabe darin, die Erobererkraft, die in der Revolution steckte, aufzufangen und an den Wagen des Gehorsams zu spannen. Das hieß, zu zeigen, daß Gehorsam keine Schwäche, sondern erhöhte Kraft, der Gipfelpunkt einer gesunden Kraft ist; zu zeigen, daß in der Meisterung des Trieblebens beim jungen Menschen die höchste Vollendung der Kraftentfaltung steckt. Damals hieß es schon in dem Programm der Vorgründungsurkunde:

"Wir müssen uns erziehen zu festen Charakteren. Die Kinderschuhe haben wir längst ausgezogen. Damals haben wir uns in unseren Handlungen leiten lassen von Launen und Stimmungen. Jetzt aber müssen wir handeln lernen nach festen, klar erkannten Grundsätzen..."

Beim Mann müssen Sie immer appellieren an den klar erkannten und festen Willen, wenn sie oft auch Hampelmänner sind.

"Jetzt aber müssen wir handeln lernen nach festen, klar erkannten Grundsätzen. Alles in uns mag wanken. Es kommen gewiß Zeiten, wo alles in uns wankt..."
Hören Sie: "Da können uns die religiösen Übungen nicht mehr helfen..."

Kampf gegen formelle Übungsfrömmigkeit. Verstehen Sie das ist nicht Kampf gegen formelle Übungen, sondern gegen Überspitzung der Übungsfrömmigkeit. Später haben wir dafür gesagt: Idealpädagogik ist Gesinnungspädagogik gegenüber bloßer Übungspädagogik. - Noch einmal:

"Da können uns die religiösen Übungen nicht mehr helfen. Nur eines kann uns helfen: Das sind feste, klare, ja unerbittlich klare Grundsätze," das starke Ringen um kraftvolle Charaktere, eigenständige Persönlichkeiten.
Dann heißt es weiter: "Wir müssen freie Charaktere sein. Gott will keine Galeerensklaven, er will freie Ruderer haben..."

Jetzt folgt allerdings ein böser Ausdruck; der ist für das jugendliche Gemüt der damaligen Zeit bestimmt. Die revolutionäre Gesellschaft hat Gehorsam ja aufgefaßt wie ein Kriechertum - so wurde damals der Gehorsam aufgefaßt. Verstehen Sie, daß ich als Pädagoge mich jetzt der Sprachweise anpassen mußte? Unsere damalige Jugend war verzweifelt wenig religiös eingestellt. Denken Sie: Hätte ich jetzt ein hohes Loblied auf religiöse Gesinnung gesungen, das hätte niemand verstanden; die öffentliche Meinung hat das nicht verstanden. In der öffentlichen Meinung steckte die Überzeugung: Wir folgen nicht! Das ist Sklaventum! Wir wollen keine Sklaven! Deswegen mußte ich mich jetzt dieser Denk- und Sprechweise anpassen; daher der folgende Satz:

"Mögen andere bei ihren Vorgesetzten kriechen, ihre Füße belecken und dankbar sein, wenn sie getreten werden..."

Jetzt greife ich das andere Affektlager der Jugendlichen auf: das Bewußtsein, selbständig zu sein. Wir sind keine Kindsköpfe mehr, wir sind kraftvolle Mannesgestalten! Jetzt hören Sie mal das Wort:

"Wir sind uns unserer Würde und Rechte wohl bewußt..."

Das böse Herumkriechen, das mögen andere tun, wir nicht; wir sind uns unserer Würde bewußt. Und wir aus dem oberen Kurs, wir haben auch Rechte, sind uns dieser Rechte bewußt. - Und jetzt kommt das Meisterstück: alles umzudrehen und das Bewußtsein der Würde und Kraft zu benutzen, um kindlich gehorchen zu lernen. Hören Sie den Satz:

"Nicht aus Furcht oder Zwang beugen wir uns vor dem Willen unserer Obern, sondern weil wir es so frei wollen..."

Das heißt praktisch jetzt, appellieren an das, was sie vorher so hochschätzten: die Freiheit. Durch jeden Akt der freien Selbstunterwerfung, da wächst unsere Freiheit, unsere Selbständigkeit, unsere Größe. Deswegen heißt es in der Fortsetzung des Satzes - ich muß den ganzen Satz lesen -:

"Nicht aus Furcht oder Zwang beugen wir uns vor dem Willen unserer Obern, sondern weil wir es so frei wollen, weil jeder Akt der vernünftigen Unterwerfung uns innerlich frei und selbständig macht."
[...]

Ich habe mit den Jungen, die noch nicht in die Reifezeit gekommen waren, durch und durch übernatürlich gesprochen, wie man zu Kindern spricht; und mit unseren Männern, die anfangen, den Bart zu bekommen: nur von Kraft gesprochen - wo die Stimme am Brechen war, wo jeder froh war, wenn er beim gemeinsamen Gebet brummen konnte. Das habe ich später immer wieder getan: den Jungen genau erzählt, was in ihnen vorging.

[...]Das Meisterstück besteht darin, sich sehr fein anzupassen an das Leben der Gefolgschaft, nicht nur in der Sprechweise, sondern auch in der Denkweise, der Lebensweise, d.h. das aufgewühlte Triebleben zu nennen und dann das Triebleben zu läutern zu taufen; das ist die Methode.
[...]

Die Größe des Menschen besteht darin, die Macht des Trieblebens zu bändigen. So müssen wir unsere Jugendlichen lenken, das Triebleben zu bändigen.
Ich fasse nochmal kurz zusammen. Der Anlaß zu der bestimmten Form war die damals ausgebrochene Gehorsamsrevolution; das war also die Gelegenheit, den Begriff der wahren Freiheit, den Begriff des wahren Gehorsams herauszustellen und kraftvoll anzuerziehen.

Jetzt stelle ich Ihnen die Doktorfrage: Wie sieht Selbständigkeit der Masse gegenüber aus? Was bedeutet Selbständigkeit den Vorgesetzten gegenüber?